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Verloren im Lockdown?

Was junge Absolventen in der Krise brauchen

Wohin soll‘s beruflich gehen? Die Corona-Pandemie hat bei jungen Absolventen eher Unsicherheiten ausgelöst. Foto: Christin Klose/dpa-tmn

8.06.2021

Die Corona-Pandemie hat bei viele Jugendlichen und jungen Erwachsenen wichtige Lebensentscheidungen beeinträchtigt. Dazu gehört auch die berufliche Orientierung. Die „Generation Lockdown“ hat oft das Gefühl, mit ihrem Corona-Abi oder Corona-Studium nicht nur eine minderwertige Ausbildung zu erhalten, sondern auch eine entscheidende Lebensphase zu verpassen und so ihre Zukunft verbaut zu bekommen.

Arbeitgeber müssen Orientierung bieten

Unter den 16- bis 19-Jährigen sind 81 Prozent überzeugt, dass sich ihr Leben stark verschlechtert hat, wie zuletzt eine repräsentative Studie der pronova BKK zeigte.

Nach eigener Einschätzung wurde jedem vierten 16- bis 29-Jährigen ein Studienplatz, neuer Job oder ein Praktikum durch die Folgen der Pandemie genommen, ohne dass sich dies nachholen lässt. Die Hälfte (51 Prozent) der Befragten geht davon aus, durch die Pandemie deutliche Nachteile im Berufsleben zu haben.

Die Schule oder Uni als sozialer Ort ist durch die Pandemie weggefallen. Der Kontakt zu anderen Gleichaltrigen, aber auch zu Lehrkräften, fehlt, so dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich sehr isoliert fühlen. „Jugend als Experimentierphase, in der man sich gemeinsam mit anderen ausprobiert, existiert gerade nicht“, sagt Wilfried Schubarth, Professor für Erziehungs- und Sozialisationstheorie an der Universität Potsdam. „Das beeinträchtigt viele wichtige Lebensentscheidungen, die erst verspätet nachgeholt werden können.“

Das betrifft auch die berufliche Orientierung. Aus Angst und Alternativlosigkeit im Lockdown würden gerade viele ein Studium anstreben, was später jedoch zu erhöhten Abbrecher-Quoten führen könnte, sagt Erziehungswissenschaftler Schubarth.

Die allgemeine Unsicherheit beherscht auch die Erwartungen der Generation an den Arbeitsmarkt. „Vor der Pandemie waren sich Bewerber der sogenannten Generation Z sehr bewusst darüber, dass man sich gerade im „War for Talent“ um junge, gut ausgebildete Arbeitnehmer befand, sodass sie sehr selbstbewusst aufgetreten sind und viel von den Arbeitgebern fordern konnten“, sagt Recruitingexpertin Svenja Rausch von der Praktikums- und Stellenbörse Job-Teaser.

Dieses Selbstbewusstsein hat nun erstmal einen Dämpfer bekommen. Stattdessen stehen Arbeitsplatzsicherheit und langfristige Verträge ganz oben auf der Liste der Auswahlkriterien bei möglichen Jobs und Arbeitgebern. Stellen im öffentlichen Dienst etwa sind daher gefragt.

„Zwar hat die Generation Z auch Lust auf Abenteuer und Leidenschaft, eben weil sie es gerade nicht ausleben kann“, sagt Svenja Rausch. „Doch zurzeit herrscht wenig Risikobereitschaft und viel Angst vor.“ Kleinere, weniger etablierte Unternehmen oder Start-ups sind daher als Arbeitgeber im Moment weniger beliebt.

Familien sollten Sorgen und Ängste ernst nehmen

„Hochschulen und Unternehmen sind gut beraten, den jungen Schul- und Hochschulabsolventen Angebote zur Berufsorientierung zu machen, auch in digitaler Form. Viele Studis kennen zum Beispiel den Career-Service ihrer Uni kaum oder gar nicht und nutzen dessen Möglichkeiten zu wenig“, sagt Svenja Rausch.

Junge Bewerber finden außerdem die Inhalte von Stellenausschreibungen oft schwer verständlich. Berufsbilder bleiben vielfach unklar. Auch die Rekrutierungsprozesse erscheinen ihnen oft zu lang und unübersichtlich.

„Unternehmen müssen sich jetzt um eine klare Karrierekommunikation speziell um junge, noch unerfahrene Bewerber kümmern. Sie müssen die Berufsfelder ihres Unternehmens genauer vorstellen, auch wenn Einstellungen erst wieder in einigen Monaten möglich sein sollten“, empfiehlt Rausch.

Für wenig motivierte und frustrierte Jugendliche ist es zurzeit besonders schwierig. Sie bräuchten eigentlich enge sozialpädagogische Betreuung in einer persönlicher Beziehung und Begegnung. „Durch die Pandemie wächst die soziale Ungleichheit bei Jugendlichen, da Bildung wieder extrem vom Elternhaus abhängig ist“, sagt Wilfried Schubarth.

Lernrückstände werde es daher auch beim Sozialverhalten und der Verankerung gesellschaftlicher Werte geben, vermutet Schubarth. „Schule ist eigentlich gescheitert, wenn es nur um Leistung geht, Jugendliche haben insbesondere jetzt ganz andere Sorgen als bloß das Aufholen des Lernstoffs.“

Diese Sorgen und Ängste ernst zu nehmen und den Jugendlichen zuzuhören, ist jetzt besonders wichtig für Erwachsene und insbesondere Eltern. Erziehungswissenschaftler Schubarth empfiehlt Eltern, die Beziehung zu ihren Kindern jetzt zu stärken, indem sie als Ansprechpartner offen bleiben, ihren Kindern zuhören, ohne gleich zu bewerten.

„Auch Gemeinschaftserlebnisse im Rahmen des Möglichen zu schaffen, ist wichtig, seien es Naturspaziergänge, Spieleabende mit der Familie zu Hause oder eben virtuell mit Freunden.“

Das gilt auch im Job. „Die Generation Z sieht sich eigentlich als Macher und Weltretter, kann das aber jetzt nicht ausleben. Um ihr Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmtheit wieder zu erlangen, brauchen sie Vorbilder, die ihnen Mut machen, dass es schon mal Krisen gegeben hat und danach trotzdem alles wieder gut wurde“, sagt Svenja Rausch. (dpa/tmn)
   

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